Bildunterschrift: Plätzchen backen in der Villa ,,Vergiss mein nicht“: Hier wird Praxis groß geschrieben. Foto Claudia Mertins
STEINFURT (cm). Man konnte die beiden glatt fur Opa und Enkelin halten. Josef und Laureen sitzen vertraut
nebeneinander an einem groBen Tisch und formen Plätzchen aus einem dicken Klumpen Teig. Laureen gibt dem Senior immer mal wieder feinmotorische Hilfestellung, etwa, wenn der Teig am Messer kleben bleibt. Oder sie motiviert Josef weiterzumachen, wenn ihm die Arme schwer werden. Die Aufmerksamkeit der jungen Frau spornt ihn sichtlich an.
Was die Schülerin hier lernt, ist Selbstwirksamkeit. Über dieses Phanomen, das das Vertrauen in die eigenen Fahigkeiten meint, hat sie in
ihrem Wahlpflichtfach „Mensch und Gesellschaft” theoretisch schon viel gelernt. Das Besondere an dem Kurs, der erst seit zwei Jahren am Gymnasium Borghorst angeboten wird, ist, dass er auch ein mehrwochiges Praxismodul beinhaltet: Zwischen den Herbst- und Weihnachtsferien verbringen die Schülerinnen und Schüler die vier wöchentlichen Unterrichtsstunden gruppenweise in drei außerschulischen Einrichtungen, in
denen sie dreimal hospitieren.
Neben dem Don-B0sc0-Kindergarten und der Regenbogenschule gehört seit diesem Schuljahr auch die Tagespflegeeinrichtung ,,Villa Vergiss mein nicht“ mit zu den Einsatzorten. Und genau hier steht an diesem grauen Novembermorgen Plätzchen backen auf dem Programm. Auch die Tagespflegegäste Doris und Regina sind mit Eifer dabei. Sie tüpfeln Marmelade in kleine Teigkugeln, unterstützt werden sie von Franziska, Annika und Nike.
Die fünf Frauen plaudern und lachen miteinander. Regina findet den Einsatz ,,super gut“ und ist überzeugt: ,,Die Jugendlichen müssen mit ein-
gebunden werden”. Franziska findet spannend, was die alten Menschen aus ihrem Leben erzählen und kann sich gut vorstellen, dass diese praktische Erfahrung ihr auch bei der Berufswahl helfen wird. ,,Ich hatte nicht erwartet, dass es hier so fröhlich und lebendig zugeht. Hier herrscht einfach eine
richtig schöne Stimmung“, sind sie und Annika sich einig.
Die verantwortliche Lehrerin Janine Hülsmeier vom Gymnasium Borghorst und die Einrichtungsleiterin Daniela Frahling bewerten die
Kooperation als echte ,,Win-win-Situation”, von der sowohl die Jugendlichen, als auch die Senioren enorm profitieren. ,,Die Senioren fragen schon
immer, wann die Schüler wiederkommen“, berichtet Frahling. Beim ersten Besuch würden die Schülerinnen und Schüler zwar meist noch ein wenig fremdeln, aber beim Zweiten Mal gehen sie deutlich entspannter in die Situation. Lachend erinnert sie sich, wie begeistert die Schüler die Tagesgäste beim Tischkegeln oder D0senwerfen angefeuert haben und so ungeahnte Kräfte mobilisieren und sehr viel Spß erzeugen konnten. Janine Hülsmeier bemerkt besonders bei zurückhaltenden Schülerinnen und Schülern eine positive Veränderung durch die praktischen Erfahrungen: ,,Wenn sie von einem schönen Erlebnis mit den Kindergartenkindern, den Grundschülern oder Senioren berichten, dann freut mich das bes0nders“. Sie ist überzeugt, dass an einem Gymnasium nicht nur Sprachen und Naturwissenschaften, sondern auch soziale Kompetenzen vermittelt werden sollten.
Das scheint mit diesem Kurs bestens zu gelingen.
Aus der WN vom 30.11.2023